Qingdao & Seoul - mit allen Sinnen: 2011-11-06
Sonntag, 6. November 2011
HOEREN: ...und noch mehr Hochzeiten
Am Wochenende werde ich oft von rythmischen Trommelschlägen geweckt. Dann heißt es wieder: Showtime! Lasst den Hochzeitstrubel beginnen!

Am 29.10. waren wir zum dritten Mal in diesem Monat vom Hochzeitsfieber gepackt. Eine Hochzeit muss renao sein, ein Begriff, den man nicht ädaquat ins Deutsche übersetzen kann, wie so viele Wörter. Renao ist das, was zu einer Hochzeit dazugehört - Lärm, Trubel, feucht-fröhliche Geselligkeit, Lebensfreude pur.

Und: es muss laut sein. Vor allem vor der Ankunft des Brautpaars: Die obligatorischen Böller werden liebevoll in Herzform auf dem Betonboden zum Eingang des Restaurants drapiert.



Neben dem Eingang machen sich etwa zwanzig Seniorinnen, gekleidet in roter Uniform und mit Trotteln an den roten Hüten, mit ihren Trommeln bereit. Pünktlich um 11.28 Uhr trudelt die Hochzeitskarosserie ein. Die Böller werden angezündet, alle Gäste begeben sich in Sicherheit. Das Paar, eingehüllt vom grauen Böllerrauch, entsteigt glamoröus dem schneidigen Benz. Die Löwen fangen zu tanzen an und vollführen akrobatische Kunststücke im Takt der rythmischen Trommelschläge.



Die Löwen beherrschen viele Stellungen, siehe hier:



Leider drängt sich trotz süßen renaos die unerbittliche Wahrheit doch wieder ins Bewusstsein. Weil sich der Small talk unter den Hochzeitsgästen um den unendlichen Brei dreht, den die Regierung verzapft. Beispiel: 100 Polizisten auf Führungsebene wurden gerade in Qingdao wegen Korruption und Verbindungen zur Mafia eingesackt. Ausgewechselt. Eigentlich gibt es keinen Unterschied zwischen Polizei und Mafia.

Auf dem Hochzeitsbankett hören wir jemanden sagen, dass es vier Todesfälle beim Bau der U-Bahn in Qingdao gegeben haben soll. Natürlich steht sowas nicht in der Zeitung. Jemand anderes erwähnt, dass er jemanden kenne, der für eine staatliche Wohltätigkeitsorganisation arbeitet und kräftig abkassiere. Als Fahrer bei der Organisation habe er beim großen Erdbeben in Sichuan 2008 einges in die eigene Tasche gewirtschaftet – wie alle anderen Angestellten. Spenden in die eigene Tasche. Exkurs: Wohin die Spenden gehen, wird bei den Wohltätigkeitsorganisationen in China nicht öffentlich gemacht, ein paar interessante Details dieser Geheimgesellschaften hat eine gewisse junge Dame oder kleine Sekretärin (Xiao mi, neumodisches Wort für den alten Beruf der Konkubine) namens Guo Meimei im Juni dieses Jahres auf ihrem Internetblog (absichtlich?) publik gemacht: sie habe ihren Maserati von einem Angestellten des Roten Kreuzes bekommen… die Guo Meimei-Affäre war wochenlang auf den Titelblättern, ist irgendwann dann verstummt...). Mein Lieblingsblogger, der Sozialkritiker Li Chengpeng, äußerte folgende Ankedote: „Als ich in Hong Kong war, bin ich am „Roten Kreuz“ vorbeigekommen. Zum ersten Mal hatte ich das ECHTE Rote Kreuz gesehen! Da habe ich natürlich gleich ein Foto gemacht...“.

Die tanzenden Löwen, die Böller, die Trommeln - sie sollen das Unheil vertreiben, das Hochzeitspaar vor allem Übel schützen. China bräuchte Millionen von bunten, tanzenden Löwen, um sich zu schützen. Aber funktioniert es auch, wenn das Übel schon längst unter uns ist?

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