Qingdao & Seoul - mit allen Sinnen: 2011-10-16
Montag, 17. Oktober 2011
FUEHLEN: Die 20-Minuten-Hochzeit
Der Oktober ist ein heißer Monat. Für Hochzeiten. Nicht heiß, aber noch warm, weiche Herbstfarben und eine arbeitsfreie „Goldene Woche“. Ideale Bedingungen - und auch noch rechtzeitig genug, um vor dem Winter die Sache einzutüten und die kalte Jahreszeit im wärmeligen neuen Nest, liebevoll geteert mit lebensgroßen Fotos des Brautpaars in fünfzehn verschiedenen Outfits und Posen, zu verbringen.

Diesen Monat tanze ich auf drei Hochzeiten. (Naja, tanzen tue ich nicht, da Karaoke singen auf Hochzeiten eher bevorzugt wird als Tanzbeine zu schwingen.) Eine in Peking, eine in Qingdao und eine in Changyi. In Changyi waren wir am 6. Oktober.

Das einzige was ich über vorher über dieses Ereignis wusste, war, dass es eine zweite Hochzeit war. Also keine zweite Frau. Vielmehr war es so, dass die eigentliche Hochzeit schon Wochen zuvor in Peking geschlossen wurde. Da die Braut aber aus einer anderen Stadt kommt, sollte dort, also in Changyi, nochmal gefeiert werden. Das zweite, was ich wusste, war die Zahl. 700. 700 Gäste würden erwartet, so hieß es. 700!! Braut und Bräutigam kannte ich vorher nicht. Die Braut ist die Tochter der Schulfreundin meiner Schwiegermutter und wir sind als Begleitung meiner Schwiegermutter einfach mitgekommen. 700. Das wollten wir uns nicht entgehen lassen.

Nach zwei Stunden Fahrt über die Autobahn in die Stadt Changyi, im Kreis Weifang, nordöstlich von Qingdao, kamen wir am Restaurant an. Vor dem Eingang warteten wir auf die Ankunft des Hochzeitpaars. Um 11.08 Uhr rollte nach einer kurzen lauten Böllerei die Karosserie an, in voller Montur stieg das junge Hochzeitspaar aus. Keine tanzenden Löwen für das Brautpaar. Kein pompöser Auftritt. Schade. Dann alle Mann rauf in den riesigen Saal: 40 Tische à 10 Personen. Rote Tischdecken, rote Lampions, roter Rotwein.



Die restlichen 300 Leute passten nicht in den Saal und wurden, aufgeteilt in 10 bis 14er Gruppen in die verschiedenen Separées des Restaurants, verfrachtet. Im Saal, in der zweiten Reihe hinter der Bühne und fanden wir unseren runden Tisch mit dem Schild "Gäste aus Qingdao" versehen (siehe Foto unten). Sofort wurden die Teller mit Gemüse, Fleisch und Meeresfrüchten aufgetragen. Ein Huhn mit Kopf durfte auch nicht fehlen.



Uns fiel auf, dass an den Nebentischen schon die Stäbchen gezückt wurden. Verunsichert fragten wir den Kellner, ob wir denn etwa schon anfangen könnten, in Qingdao wartet man doch so lange bis die mindestens halbstündige Hochzeitshow mit Hochzeitsmoderator und Brautleuten zu Ende ist. Der Kellener meinte zu unserer Überraschung: „Passt schon!“. Zögerlich ging es dann auch an unserem Tisch los.

Nach kaum zehn Minuten wurde plötzlich das Licht gedimmt. Der Moderator erschien auf der Bühne und ließ seine Stimme ins Mikro erschallen. Der Beamer wurde angeschmissen und über die Leinwand huschten gefilmte Hochzeitsszenen, vermutlich von der ersten Trauung, aus Peking, zu schmissiger Rapmusik. Das Brautpaar schritt graziös auf dem Catwalk durch den Saal zur Bühne. Der Moderator stellte den Bräutigam als „Mitarbeiter eines amerikanischen Joint-Ventures“ vor und die Braut als „nett und süß“. Die Brauteltern wurden auf die Bühne geholt. Der Brautvater, Parteisekretär der örtlichen Wasserwerke, hohes Tier, schüttete Dankesworte an die anwesenden Gäste aus. Alle erhoben ihr Glas und stießen auf das junge Glück an. Dann schwebte das Brautpaar aus dem Saal, wahrscheinlich, um in Separées mit den anderen 300 Gästen anzustoßen.

Alle wandten sich wieder dem Essen zu. Jetzt geht`s zum feucht-fröhlichen Teil des Tages. Dachte ich zumindest. Als ich nach fünf Minuten wieder vom Teller aufblickte, war zwei Drittel des Saals leer. Übrig blieben nur die Geräusche der Kellner, die klirrend das Geschirr abräumten. Mir blieb der Mund offen stehen. Ein kurzer Blick auf die Uhr: Es war noch nicht einmal 12 Uhr! In Qingdao dauern Hochzeiten normalerweise bis 14, 15 Uhr. Ratlos blickten wir uns an. Anscheinend war das eher ein „Roter Geldumschlag-Abgabe-Termin“ als eine Hochzeit. Pay Day. Oder es lief was Gutes im Fernsehen.

Wir ließen uns jedoch von den klirrenden Kellern nicht beirren, sondern machten unsere eigene Party bis 14 Uhr mit Hochzeitsschnaps und Honig-Hochzeitswein.

Es sah aus wie eine Hochzeit, es schmeckte wie ein Hochzeitsbankett, aber danach hatten wir immer noch Hunger..auf eine richtige, gehaltvolle, kitschige, lustige Hochzeit. Das nächste Mal: tanzende Löwen. Bitte?

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